Teil 2: Die Kunst des Nichtstuns. Über die Bedeutung von Leerlauf für unser Gehirn, Langeweile und Kreativität
Ein große Interview zum Jahresbeginn – als Podcast und als Bloginterview
Im ersten Teil meines Interviews mit Prof. Dr. Volker Busch, dem renommierten Bestseller-Autor, Podcaster, Psychiater und Neurowissenschaftler, haben wir uns intensiv mit dem Thema Neujahrsvorsätze auseinandergesetzt. Ich habe von Prof. Busch wertvolle Einsichten darüber erhalten, wie Überplanung und Zielbetäubung uns oft im Weg stehen und wie wichtig es ist, konkrete Schritte in Richtung unserer Ziele zu unternehmen. Falls du diesen informativen ersten Teil noch nicht gelesen hast, empfehle ich dir, damit zu beginnen.
Jetzt, im zweiten Teil meines Gesprächs mit Prof. Busch, wende ich mich einem ebenso wichtigen, aber oft übersehenen Thema zu: der Rolle von Langeweile und Kreativität in unserem Leben. Wir diskutieren, wie die ständige Handynutzung unsere Fähigkeit zur Kreativität und zur Bewältigung von Langeweile beeinflusst. Prof. Busch gibt mir Einblicke, wie wichtig es ist, Momente der Stille und des Nichtstuns zu schätzen und wie diese zur Steigerung unserer geistigen Leistungsfähigkeit beitragen können. Bereite dich darauf vor, mit mir tiefer in die Thematik einzutauchen und zu erfahren, wie du dein Gehirn auf neue und produktive Weisen nutzen kannst.
Prof. Dr. Volker Busch, seit fast zwei Jahrzehnten aktiv, vereint seine Rollen als Arzt, Wissenschaftler, Autor und Redner mit seiner Leidenschaft für die Neurowissenschaft. Er führt eine Forschungsgruppe an der Universität Regensburg, konzentriert sich auf die Verbindungen zwischen Stress, Schmerz und Emotionen und bietet therapeutische Unterstützung. Parallel dazu vermittelt er sein Wissen durch Vorträge, Seminare und Publikationen, um anderen zu Gehirngesundheit und Motivation zu verhelfen, wobei er eine besondere Synthese aus Theorie und Praxis schafft.
Er ist Podcaster mit „Gehirn gehört“ und Spiegel-Bestseller-Autor.
Foto: Oliver Betke
Das Nichtstun stellt uns vor eine große Herausforderung, der Langeweile.
Markus Tirok Bei einem meiner Neujahrsvorsätze wäre der erste Schritt, nichts zu tun. Denn tatsächlich möchte ich mehr Ruhephasen in meinem Leben haben.
Prof. Busch Das gehört übrigens zu den Top Five, der aktuell häufigsten Neujahrsvorsätze.
Markus Tirok Aber auch das Nichtstun stellt uns Menschen vor eine besondere Herausforderung, der Langeweile.
Prof. Busch Das halte ich ehrlich gesagt für eine Illusion, dass man glaubt, Glück im Nichtstun zu finden.
Ich finde zwischenzeitliche Langeweile extrem wichtig, seinen Gehirn die Chance zu geben, Dinge zu verarbeiten und insbesondere wenn man kreativ arbeitet. Wir brauchen auch mal Leerlaufphasen am Tag, in denen wir bewusst das Handy weglegen, eine halbe Stunde spazieren gehen, offline sind.
In solchen punktuellen Momenten ist das Nichtstun Gold wert.
Aber dass man sich generell vornimmt, weniger zu machen, weniger kennenzulernen, weniger zu lernen, weniger zu erfahren, das ist eine Verzichtsethik, die ist neurobiologisch unsinnig.
Das menschliche Gehirn strebt immer danach, sich neue Welten zu erschließen.
Gucken wir es bei unseren Kindern an: Da sehen wir es in der Reinform.
Sie können aus gutem Grund mit Langeweile nicht gut umgehen, weil sie auf Erfahrungen machen ausgelegt sind.
Sie erfahren Glück in Form von neuen Erlebnissen. Das ist prinzipiell bei uns Erwachsenen auch so.
Wir erleben Glück immer durch das Erfahren, durch das Machen, durch das Tun und durch das Neue.
Und das ist das Erstrebenswerte.
Insofern sich vorzunehmen, weniger zu machen und stattdessen mehr in der Hängematte zu liegen und zu dösen, ist, glaube ich, kein sinnvoller Neujahrsvorschlag.
Markus Tirok Viele Menschen vermeiden Langeweile sehr bewusst, da entsteht kein Leerlauf im Alltag, da ist keine Zeit für Raum.
Vor was haben wir denn Angst?
Prof. Busch Der Punkt ist, dass wir in dem Umgang mit dieser Reizflut und Informationsüberladung natürlich einen ständigen Input an Informationen gewöhnt sind.
Das erzeugt fortwährende Kicks im Belohnungssystem unseres Gehirns. Das können wir sogar messen.
Das sind sogenannte Instant Gratification. Also kurzfristige Belohnungen. Das sind kleine Dopamin-Duschen, so nenne ich es in meinem Buch beispielsweise.
Daran gewöhnt man sich.
Man wird vielleicht noch nicht unbedingt süchtig und abhängig davon, aber man gewöhnt sich dran. Wenn das jetzt plötzlich wegfällt, weil ich mal offline bin, zehn Minuten an der Straßenbahnhaltestelle oder in einem Café oder abends auf der Couch, dann fühlt sich das wie ein Entzug an und damit unangenehm.
Diesen Impuls können wir kaum aushalten.
Deswegen ist der impulsive Griff sofort zum Handy wieder da.
Das finde ich in der Tat auch sehr schade.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich finde es bedenklich, weil ich natürlich als Psychiater oder als Hirnforscher weiß, dass solche Zustände, solche Verzichtsmomente, wenn sie für 10 Minuten, eine viertel oder halbe Stunde stattfinden, uns mehr schenken als wir uns nehmen. Weil in solchen Momenten, und zwar nur in solchen Momenten, ein bestimmtes Netzwerk hochgefahren wird, das sogenannte Default Mode Network – ein Ruhezustand-Netzwerk, so könnte man es übersetzen.
Das ordnet unsere Gedanken.
Es konsolidiert das zuvor Gelernte. Es verknüpft die Informationen. Es denkt assoziativ.
Da planen wir, da kommen wir auf gute Ideen.
Das passiert eben nicht, wenn wir stattdessen konsumieren, also wenn wir wieder ins Handy gucken.
Insofern sind solche Momente wichtige Entwicklungsmomente und die sollten wir nicht rauskürzen aus unserem Alltag.
Markus Tirok Tatsächlich ist ja das Verhindern von Langeweile eher eine tatsächliche Bedrohung unserer kreative Leistung, auch dazu gibt es eine umfassende Studie.
Wenn wir darüber doch bescheid wissen und selbst die Erfahrung machen, dass die besten Ideen nicht am Schreibtisch entstehen, warum nutzen wir diese Wissen nicht viel konstruktiver und systematischer?
Prof. Busch Na ja, es ist im Prinzip ähnlich wie beim Snickers oder bei einem Twixx. Wir wissen auch, dass zu viel davon nicht gut ist und dass vielleicht Stangen-Sellerie oder eine Mohrübe angebrachter wäre. Aber wir greifen trotzdem beliebig zu Süßigkeiten, wenn sie vor uns liegen.
Die unmittelbare Hinwendung zu einer Information, also nach dem Handy zu greifen, eine Nachricht zu lesen, unseren Newsfeed durchzuscrollen, ist immer belohnender in der Sekunde, wo es stattfindet, als das Smartphone wegzulegen und sich der Langeweile für einige Momente hinzugeben und dann hinten raus eine gute Idee zu haben.
Das ist nach hinten raus dann wiederum auch belohnend, zum Beispiel nach einer Stunde, weil man glücklich ist, eine Lösung für ein Problem gefunden zu haben und glücklich ist über den Einfall, den man hatte.
Aber im unmittelbaren Moment ist der Griff zum Handy belohnender, genau wie der Griff zur Schokolade.
Sie freuen sich, wenn sie eine Diät aufrechterhalten, freuen sie sich nach hinten raus, dass sie es nach einer Woche geschafft haben, ein Kilo abzuspecken. Aber im unmittelbaren Moment, wo sie umringt sind von Lebkuchen und Schokolade, ist der Griff dahin belohnender als der Diäterfolg in einer Woche.
Genauso ist es bei Informationen auch. Das hält uns davon ab, diese Momente, diese Freiräume zu bewahren. Das Nichtstun. 10 Minuten, Viertelstunde. Weil immer etwas da ist in unserer Umwelt, was uns sofort wieder einen Kick gibt, eine Belohnung und uns ermöglicht, zum Handy zu greifen.
Deswegen gibt es diese Momente weder an eine Straßenbahnhaltestelle heutzutage, noch auf der Couch oder sonst wo. Diese Momente sind selten.
Wie machen wir es besser?
Zwei Dinge. Der erste Punkt ist etwas hart.
Ich muss die Verfügbarkeit drastischer reduzieren.
Prof. Dr. Volker Busch
Markus Tirok Wie lernen wir es denn wieder, den Gewinn nach hinten raus viel stärker wahrzunehmen und uns darauf einzulassen?
Prof. Busch Zwei Dinge. Der erste Punkt ist etwas hart.
Ich glaube, ich muss die Verfügbarkeit drastischer reduzieren.
Wir müssen in bestimmten Momenten die Verfügbarkeit der Informationen reduzieren. Soll heißen, wenn meine Kinder am Schreibtisch Hausaufgaben machen sollen und ich möchte als Papa, dass sie sich auf das Lernen konzentrieren, muss ich ihnen die Handys in dieser Zeit wegnehmen.
Wenn ich selber auf der Couch abends eine Serie genießen will, einen schönen Film schauen möchte und tief in die Story versinken möchte, dann muss ich selber das Handy weglegen oder es ausmachen, damit ich gar nicht erst versucht bin zuzugreifen.
Denn es ist zu viel verlangt, es nicht zu tun, wenn es unmittelbar vor mir liegt.
Genauso analog zum Schokoriegel.
Wenn der Riegel sichtbar neben mir liegt, kann man von niemandem verlangen, dass man nicht zugreift. Wer eine Diät macht, darf keine Schokolade kaufen bzw. muss sie unverfügbar machen.
So ist es hier auch. In bestimmten Momenten muss sich die Disziplin mitbringen, das Handy weniger verfügbar zu machen.
Das ist der erste Schritt.
Nur dann kann ich überhaupt solche Momente auch wieder erfahren und genießen.
Der zweite Schritt ist, dass ich mir am Ende des Tages selber ein Feedback gebe.
Hey, was hast du heute alles Tolles erlebt und dadurch erfahren, dass du nicht jede Minute am Handy warst? Was hast du für einen Gedanken heute mal klug durchdacht? Welches Problem hast du gelöst? Wen hast du Interessantes kennengelernt? Welche Fernsehserie hast du genossen? Was hast du, als du die Zeitung gelesen hast, jetzt viel besser verstanden, weil du dich in Tiefe darauf konzentriert hast? Was war dein Lernerfolg heute am Schreibtisch?
Die guten Dinge sich klarmachen, die dadurch entstanden sind, dass man mal konzentriert, vertieft in etwas versunken ist.
Das hilft einem für das nächste Mal.
Kommen Sie mit Langeweile klar?
Ja – ich ertrage die Langeweile sehr gut.
Prof. Dr. Volker Busch
Markus Tirok Zwei persönliche Fragen abschließend zu diesem wunderbaren Gespräch, Ertragen Sie Langeweile?
Prof. Busch Ja, ich ertrage sie gut.
Aber auch hier muss man wirklich unterscheiden.
Das war eingangs unseres Gespräches mir schon wichtig.
Langeweile punktuell in einem stressigen Alltag, der auch bei mir viel mit Kommunikation und Reizflut zu tun hat. Da hat er seine Bedeutung. Da versuche ich auch ganz bewusst Freiräume zu lassen.
Und mittlerweile kann ich das sehr, sehr gut.
Ich kann mich voll in diese Momente fallen lassen, weil ich weiß, die Welt dreht sich auch ohne mich fantastisch weiter.
So wichtig bin ich nämlich nicht.
Das ist ein sehr entlastendes Gefühl.
Ich habe also keine Angst, etwas zu verpassen.
Die meisten Menschen, die ich da begleiten, betreuen darf, erleben, dass auch ihre Angst, etwas zu verpassen, in der Regel nicht gerechtfertigt ist.
Das kann wohltuend sein, dass man mal nicht selbst der Mittelpunkt von allem ist.
Also ich brauche das für meinen täglichen Alltag, auch meine Patienten Geschichten verdauen zu können sehr, sehr wohl.
Aber der andere Punkt wäre gefährlicher. Wenn ich merke, dass mir anhaltend langweilig ist über Wochen, dann wäre das ein Zeichen für Unterforderung. Das wäre nicht günstig.
Markus Tirok Abschließend die Frage: Nehmen Sie sich etwas vor für das kommende Jahr?
Prof. Busch Oh ja, ganz viel.
Eine Sache ist privat, da möchte ich nicht drüber reden.
Die andere Sache, hat mit meinem Job zu tun.
Ich habe ja ein neues Buch geschrieben. „Kopf hoch!“ wird es heißen, das kommt am 1. März.
Es war sehr, sehr viel Arbeit. Ich habe da sehr lange dran gesessen, über eineinhalb Jahre. Es geht um das vorherrschende Gefühl unserer Zeit, die Unsicherheit in unserer Bevölkerung aufgrund der wirtschaftlichen politischen Instabilität. Wie gehen wir damit um? Was macht das mit uns? Und wie können wir wieder Zuversicht für die Zukunft entwickeln? Es ist ein sehr, sehr spannendes und auch sehr lustiges Sachbuch geworden.
Es ist eine Zeit-Diagnose, mit der ich mich beschäftige. Das war sehr tief und es hat mich schon sehr gefordert. Ich bin ehrlich gesagt auch froh, dass ich es jetzt abgeben durfte, vorletzte Woche übrigens. Und ich habe mir vorgenommen, fürs nächste Jahr dann mal nicht mit einem neuen Buch zu beginnen, sondern das Buch „Kopf hoch!“ einfach auch auszukosten und zu leben und zu gucken, ob die Menschen es annehmen, zu genießen und diesbezüglich ja mal wegzukommen.
Markus Tirok Ganz herzlichen Dank für dieses wunderbare Gespräch.
Prof. Busch War mir eine große Freude. Vielen, vielen Dank. Alles Liebe. Bleiben Sie gesund
Das Interview wurde im Dezember 2024 als Podcast-Interview online geführt und aufgezeichnet.
Der Spiegel Bestseller – Buch „Kopf frei“
Im März 2024 erscheint ein neues Werk von Prof. Dr. Volker Busch: Buch „Kopf hoch“
Podcast „Gehirn gehört – Der Psycho Podcast der Wissen schafft“ von und mit Prof. Dr. Volker Busch“
Das gesamte Interview gibt es auch als Podcast-Epsiode.
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